Der Urin ist nicht steril - das Mikrobiom in der Harnblase
Im Mund- und Rachenraum, im Darm und auf der Haut aller Menschen siedeln eine Vielzahl von Bakterien ohne je eine Krankheit auszulösen. Man nimmt sogar an, dass der gesunde menschliche Körper bis zu 10-mal mehr Mikroorganismen aufweist, als er eigenen Zellen hat. Bezogen auf einen gesunden Menschen von 70 kg Körpergewicht würden das mehr als 2 kg Bakterien in jedem von uns entsprechen.
Über viele Jahrzehnte hinweg nahm man an, dass der Harntrakt unter normalen Umständen vollkommen frei von Bakterien, also steril sei. Entsprechend versuchte man bei Beschwerden und Symptomen einer Blasenentzündung, Bakterien im Labor anzuzüchten. Gelang dies und wurden Bakterien in einer gewissen Anzahl nachgewiesen, so bestätigte sich nach bisheriger Sichtweise die Diagnose einer Harnwegsinfektion. Bald stellte sich jedoch heraus, dass es nicht bei allen Bakterien eine Kultivierung im Labor gelang, es also auch bei fehlendem bakteriellem Wachstum in der Urinkultur nicht auszuschliessen war, das Bakterien den Urin besiedeln und möglicherweise an der Entstehung von Krankheiten beteiligt sein können.
Mit der breiten Anwendung moderner molekularer Labortechniken gelang es in den letzten Jahren, eine Vielzahl verschiedenster Mikroorganismen im Urin nachzuweisen. Aus dieser Erkenntnis heraus hat sich der Begriff Mikrobiom entwickelt, das die Gesamtheit aller mikrobiellen Faktoren in einem Organismus beschreibt.
Verschiebung des Bakteriengleichgewichts kann Krankheiten begünstigen
Zunehmend wächst auch die Erkenntnis, dass eine Verschiebung des Gleichgewichtes von bestimmten Bakterien im Mikrobiom die Entstehung von Krankheiten begünstigen oder sogar mit auslösen kann. Dies betrifft sowohl:
- maligne Tumoren wie das Prostatakarzinom
- als auch gutartige Erkrankungen wie die Interstitielle Zystitis
- und die Überaktive Blase.
So kann Lactobacillus, eine Gattung von grampositiven, meist stäbchenförmigen Bakterien, die zusammen mit anderen Bakteriengattungen zu den Milchsäurebakterien gehören, mit dem Krankheitsbild der Überaktive Blase in Verbindung gebracht werden. In einer Studie wiesen Frauen mit überaktiver Blase weniger Lactobacillus im Urin auf als Frauen in der Kontrollgruppe ohne Blasenprobleme. Eine lokale Östrogenbehandlung der Vagina in der Menopause konnte mit einer Zunahme an Lactobacillus in der Harnblase und einer Linderung der Blasenbeschwerden in Verbindung gebracht werden. Aber auch eine Rolle von Lactobacillus als Biomarker für die Überwachung der Therapie zeichnet sich ab.
Gute Aussichten auf Vorbeugung oder Behandlung von Blasenfunktionsstörungen
In den nächsten Jahren werden neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Mikrobiom erwartet, möglicherweise auch in die Richtung einer gezielten Beeinflussung des Bakterienspektrums zu Vorbeugung oder Behandlung von Fehlfunktionen der Harnblase.
Referenz:
«Die Rolle des Mikrobioms in der Urologie.» Magistro G, Marcon J, Eismann L, Volz Y, Stief CG. Urologe A. 2020 Dec;59(12):1463-1471.