Was sind LUTS und warum ist die neurologische Diagnostik wichtig?

LUTS (Lower Urinary Tract Symptoms) – auf Deutsch: Symptome des unteren Harntrakts – umfassen verschiedene Beschwerden wie Inkontinenz, Blasenentleerungsstörungen oder Sensibilitätsstörungen im Genitalbereich. Wenn diese Symptome nicht allein durch urologische Ursachen erklärt werden können, ist eine neurologische Abklärung sinnvoll.

Obwohl Funktionsstörungen des unteren Harntrakts bei vielen neurologischen und psychosomatischen Erkrankungen auftreten und die Lebensqualität entscheidend beeinflussen können, wird die neurologische Diagnostik des Beckenbodens im klinischen Alltag noch zu selten eingesetzt[1]. Dabei ermöglicht gerade sie in Kombination mit urologischen Untersuchungen oft erst die strukturelle Einordnung und damit eine individuell angepasste Therapieplanung.

Moderne diagnostische Verfahren: Mehr als nur Standarduntersuchungen

Im KontinenzZentrum Hirslanden setzen wir neben der klinischen Untersuchung und Urodynamik auch spezialisierte neurophysiologische Verfahren ein:

Pudendus-SEP (Somatosensorisch evozierte Potentiale)Nervus Pudendus

Diese Untersuchung ermöglicht die Objektivierung sensibler Störungen im Beckenbodenbereich. Dabei wird durch elektrische Reizung des Nervus pudendus (Schamnerv) ein Potenzial im sensiblen Cortex des Gehirns erzeugt, das an der Kopfoberfläche gemessen werden kann[1].

Die Pudendus-SEP sind besonders wertvoll als Screeningtest: Bei einem normalen SEP-Befund ist eine strukturelle Schädigung der sensiblen Bahnen des Beckenbodens sehr unwahrscheinlich[1]. Dies macht die Untersuchung zu einem wichtigen Instrument bei der Abklärung von funktionellen Störungen oder Schmerzsyndromen ohne erkennbare strukturelle Ursache.

Analsphinkter-EMG (Elektromyographie)

Diese Untersuchung misst die elektrische Aktivität des äußeren Analsphinkters und gibt Aufschluss über dessen Funktion und Innervation. Besonders wertvoll sind dabei die Nachweise der sakralen und pontinen Reflexe, die wichtige diagnostische Hinweise liefern können[1].

Fallbeispiele aus der Praxis: Wie die neurologische Diagnostik hilft

Anhand zweier Patientinnen mit ähnlichen Symptomen, aber unterschiedlichen Ursachen, lässt sich der Wert der neurologischen Diagnostik gut veranschaulichen:

Patientin A litt seit einem Jahr unter Belastungsinkontinenz mit genitaler Hypästhesie (vermindertes Empfinden) und Brennen im Genital- und Analbereich. Die Blasenentleerung erfolgte durch Pressen.

Patientin B hatte ebenfalls seit einem Jahr Blasenentleerungsstörungen, zeitweise Sensibilitätsstörungen am Fuß und episodische Schmerzen im Perinealbereich. Die Beschwerden besserten sich in Erholungsphasen.

Bei beiden Patientinnen zeigte die Urodynamik Störungen der Harnspeicherung, bei Patientin A auch der Blasenentleerung. Der entscheidende Unterschied wurde jedoch erst in den neurophysiologischen Untersuchungen sichtbar:

  • Bei Patientin A waren die Pudendus-SEP erloschen und die sakralen Reflexe deutlich gestört. Das MRT bestätigte schließlich ein "Tethered-Cord-Syndrom" (eine angeborene Fehlbildung des Rückenmarks)[1].
  • Bei Patientin B waren die Pudendus-SEP und das Analsphinkter-EMG normal. Hier konnte eine zentrale Blasenenthemmung mit funktionellen Anteilen diagnostiziert werden, ohne Zusammenhang mit ihrer bekannten Lumbalkanalstenose[1].

Diese unterschiedlichen Diagnosen führten zu völlig verschiedenen Therapieansätzen – ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie wichtig die präzise neurologische Diagnostik ist.

Vorteile der spezialisierten neurologischen Diagnostik

Die Kombination aus klinischer Untersuchung, Urodynamik und neurophysiologischen Verfahren bietet entscheidende Vorteile:

  1. Präzise Lokalisierung: Die Untersuchungen ermöglichen eine genaue Eingrenzung des Läsionsortes (peripher oder zentral).
  2. Frühe Diagnose: Neurologische Erkrankungen können oft frühzeitig erkannt werden, bevor sie in der Bildgebung sichtbar sind.
  3. Vermeidung unnötiger Therapien: Durch die genaue Diagnose können unwirksame Behandlungsversuche vermieden werden.
  4. Individualisierte Therapieplanung: Die detaillierte Diagnostik ermöglicht eine auf den einzelnen Patienten zugeschnittene Behandlung.

Wann ist eine neurologische Abklärung sinnvoll?

Eine neurologische Abklärung sollte in Betracht gezogen werden, wenn:

  • Blasenfunktionsstörungen mit Sensibilitätsstörungen oder Schmerzen im Genital- oder Analbereich einhergehen
  • Urologische Untersuchungen keine ausreichende Erklärung für die Beschwerden liefern
  • Eine bekannte neurologische Grunderkrankung vorliegt
  • Die Symptome trotz Standardtherapie fortbestehen

Unser Ansatz im KontinenzZentrum Hirslanden

Im KontinenzZentrum Hirslanden in Zürich bieten wir eine umfassende interdisziplinäre Abklärung und Behandlung von Störungen der Harnblasenfunktion. Unsere Fachärzte verfügen über langjährige Erfahrung und weitreichende wissenschaftliche Expertise in der Neurourologie.

Wir setzen auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Urologie, Neurologie und Gynäkologie, um für jeden Patienten die optimale Diagnose- und Therapiestrategie zu entwickeln. Dabei berücksichtigen wir stets die individuellen Bedürfnisse, Wünsche und Fähigkeiten unserer Patienten.

Fazit: Der Wert der neurologischen Diagnostik

Die neurologische Diagnostik bei Funktionsstörungen des unteren Harntrakts ist ein wertvolles Instrument, das noch zu selten eingesetzt wird. Dabei kann sie entscheidend zur korrekten Diagnose beitragen und damit den Weg für eine erfolgreiche, individualisierte Therapie ebnen.

Verzögerte Diagnosestellungen begünstigen nicht nur die Chronifizierung der Symptome, sondern können auch zu unwirksamen Therapieversuchen führen. Eine zeitnahe, symptomgeführte Diagnostik unter Einbeziehung neurologischer Untersuchungsmethoden ist daher von großem Wert.

Wenn Sie unter Blasenfunktionsstörungen leiden, die möglicherweise neurologische Ursachen haben könnten, zögern Sie nicht, einen Termin in unserem KontinenzZentrum Hirslanden zu vereinbaren. Unsere Experten helfen Ihnen gerne weiter.

 

Quelle:

Urologie 2025 . 64:149–156

https://doi.org/10.1007/s00120-024-02495-0